Veterans
Trip 2005


Press


Frankfurter Allgemeine Zeitung Online 10.4.2005

„Vor unseren Augen wachsen Überzeugungstäter heran”

10. April 2005 Bundeskanzler Gerhard Schröder und Opfer der NS-Diktatur haben zum 60. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager eindringlich davor gewarnt, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu vergessen.

Schröder sagte am Sonntag bei der zentralen Gedenkfeier im Deutschen Nationaltheater in Weimar, Gedenkstätten wie die des nahegelegenen Konzentrationslagers Buchenwald seien deshalb so wichtig, weil sie die Erinnerung lebendig erhielten. „Sie mahnen uns, der Versuchung zum Vergessen und Verdrängen nicht nachzugeben.” Angesichts von Millionen Opfern und dem Leiden der Überlebenden sei es die bleibende Verpflichtung der Nachgeborenen, gegen jede Form der Tyrannei einzutreten.

„Ich verneige mich vor den Opfern”

Der Präsident des Buchenwald-Komitees ehemaliger Häftlinge, Bertrand Herz, appellierte vor allem an die Jugend, jede Form der Ausgrenzung zu bekämpfen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, rief dazu auf, die Erinnerung an Verfolgung, Krieg und millionenfachen Mord an nachfolgende Generationen weiterzugeben. An der Gedenkfeier nahmen mehr als 500 Überlebende aus 26 Ländern teil.

Schröder sagte: „Ich verneige mich vor den Opfern und ihren Angehörigen.” Sie hätten in den Konzentrationslagern die Hölle erlitten. Buchenwald stehe für geistige Finsternis und Barbarei. „Aber aus der Geschichte, aus der tiefsten Schande unseres Landes können wir lernen.” Schröder mahnte, es dürfe nicht zugelassen werden, daß Gewalt, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland wieder eine Chance bekämen.

„Es wird nur noch Romanciers geben”

In den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten wurden in ganz Europa etwa sechs Millionen Juden ermordet. Buchenwald war eines der größten Lager auf deutschem Boden. Bis zur Befreiung am 11. April 1945 wurden allein hier mehr als 50.000 Menschen getötet. Herz, der zu den rund 20.000 Buchenwald-Überlebenden gehörte, sagte, „das aus den Ruinen des Naziregimes hervorgegangene Europa wird nicht überleben können, wenn die Vergangenheit vergessen wird.”

Der Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rosi, erinnerte daran, daß der Holocaust auch für die systematische Vernichtung rund einer halben Million Sinti und Roma stehe. Der spanische Schriftsteller und Buchenwald-Überlebende Jorge Semprun verwies darauf, daß es in zehn Jahren kaum noch Zeugen geben werde: „Es wird keine unmittelbare Erinnerung mehr geben. Es wird nur noch Romanciers geben.”

Spiegel: „Staffelstab der Erinnerung” weitergeben

Spiegel rief dazu auf, den „Staffelstab der Erinnerung” weiterzugeben. Nur das garantiere, daß das Leiden aller ermordeten und überlebenden Opfer der Kriegskatastrophe nicht gänzlich umsonst gewesen sei. Zugleich betonte er die herausragende Bedeutung der KZ-Gedenkstätten. „Das Konzentrationslager Buchenwald gibt es nicht mehr", sagte er. Die Erde dieses Geländes werde aber für alle Zeit getränkt sein mit den Tränen der Verzweifelten und dem Blut der hier Ermordeten.

Spiegel nannte es hochgradig gefährlich, daß Rechtsextreme inzwischen in die Mitte der Gesellschaft vorstießen. Besorgt äußerte er sich auch über eine zunehmende Verrohung im Denken von Kindern und Jugendlichen. Daß die rechte Szene keine Probleme habe, Nachwuchs zu rekrutieren, müsse weitaus mehr beunruhigen als die skandalösen Reden von NPD-Abgeordneten. „Vor unseren Augen wachsen Überzeugungstäter heran,” sagte Spiegel.

Am Mittag war auf dem Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nahe Weimar eine Kranzniederlegung geplant. Zugleich sollte mit einer Schweigeminute an die Opfer der Nazi-Diktatur gedacht werden.

Text: FAZ.NET mit Material von Reuters